Das Gehirn von Alzheimerkranken spricht unzureichend auf Insulin an

Die für einen Diabetes typischen Stoffwechselstörungen spielen offenbar auch bei der Alzheimerschen Demenz eine Rolle. Diese Erkenntnis trägt mittlerweile erste therapeutische Früchte. Forscher prüfen derzeit,wie effektiv diese sind.

Nicolavon Lutterotti

Angesichts der wachsenden Zahl an Demenzkranken läuft die Suche nach wirksamen Therapie nauf Hochtouren. Aussicht auf Erfolg haben solche Bemühungen nur,wenn die Ursachen für das allmähliche Versagen der Hirnzellen bekannt sind. Bei der Alzheimerkrankheit tappen die Forscher diesbezüglich aber noch im Dunkeln. In den letzten Jahren konnten sie allerdings einige wichtige Erkenntnisse erzielen. Hierzu zählt, dass die Alzheimersche Demenz auffallende Parallelen zum «Alterszucker», dem Typ-2-Diabetes, aufweist. So geht sie ebenfalls mit einer, wenngleich vornehmlich das Gehirn betreffenden, Insulinresistenz einher. Dazu kommt es, wenn das Gewebe die Botschaften des Hormons Insulin unzureichend wahrnimmt und entsprechend nicht mehr genügend Glukose aufnehmen kann,um seinen Energiebedarf zu decken. Ursache dafür sind Betriebsstörungen in den Insulinrezeptoren, den zellulären Andockstellen für Insulin. Dadurch kann sich das Hormon nicht mehr an die Zellen heften und sich darin kein Gehör mehr verschaffen. Reichlich vorhanden sind die Insulinrezeptoren unter anderem in den Lern-und Gedächtniszentren – jenen Hirnarealen, denen die Alzheimerdemenz besonders zusetzt.

Lange ignorierte These

Bereits vor mehr als zwanzig Jahren hat der Heidelberger Neurologe und Psychiater Siegfried Hoyer entdeckt, dass die Hirnzellen von Alzheimerkranken weniger Glukose verbrauchenals jene von Gesunden. Seine Schlussfolgerung,der Energiemangel könnte eine treibende Kraft der Alzheimerdemenz sein, fand damals allerdings wenig Beachtung. Schon zu jener Zeit richtete sich das allgemeine Augenmerk mehr auf die charakteristischen Eiweissablagerungen im Gehirn der Betroffenen. Bestehend aus Amyloid-Beta und Tau, gelten die Proteinklumpen als wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Wegbereiter der Alzheimerschen Demenz. An dieser Hypothese sind in den letzten Jahren allerdings Zweifel aufgekommen. Denn wie sich gezeigt hat, befinden sich auch im Gehirn von gesunden Senioren teilweise erhebliche Mengen an Amyloid-Ablagerungen. Immuntherapien mit dem Ziel, diese Plaques zu entfernen,lieferten zudem enttäuschende Resultate. So gelang es damit nicht, das Fortschreiten des geistigen Abbaus aufzuhalten. Möglicherweise scheiterten die Therapien aber auch ,weil sie zu spät kamen. Ein frühes Einschreiten gegen die Proteinklumpen scheint jedenfalls etwas erfolgversprechender zu sein. Das legen zumindest die Ergebnisse einer neuen Studie nahe.1

Es gibt allerdings auch andere Erklärungen. So sprechen Beobachtungen bei Tieren und bei Neuronen in der Kulturschale dafür, dass der Energiemangel im Gehirn die Entsorgung von Proteinabfällen behindert. Die Amyloid-Plaques sind somit möglicherweise die Folge einer unzureichenden Protein-Müllabfuhr,die ihrerseits auf der zerebralen Insulinresistenz beruht. In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer Studie mit 186 Versuchspersonen.2

Durchschnittlich 60 Jahre alt und (noch) nicht dement, hatten sich alle Probanden einem Hirn-Scan zum Nachweis von Amyloid-Plaques unterzogen. Wie Aurielle Willette von der University of Wisconsin in Madison und ihre Kollegen berichten, bestand ein Zusammenhang zwischen der Insulinempfindlichkeit und der Menge an Amyloid im Gehirn: Je schlechter die Probanden auf Insulin ansprachen, desto mehr Amyloid-Beta hatte sich in ihrem Gehirnangereichert. Dies könnte auch eine Erklärung dafür sein, weshalb Diabetiker ein erhöhtes Risiko für eine Alzheimerdemenz aufweisen.

Neue therapeutische Ansätze

Ob die mangelnde Insulinempfindlichkeit zum Verfall des Denkvermögens beiträgt, ist zwar noch offen. Doch gibt es bereits Bemühungen, die – teilweise als Typ-3-Diabetes bezeichnete – Alzheimerdemenz ähnlich anzugehen wie den «Alterszucker». Ein Beispiel ist die Behandlung mit Insulin. Anders als bei Diabetikern wird das Hormon dabei allerdings nicht in das Unterhautfettgewebe gespritzt. Denn diese Anwendungsart kann zu Unterzuckerung führen und hat obendrein den Nachteil, dass dabei zu wenig Insulin im Gehirn ankommt. Elegant umschiffen lassen sich diese Schwierigkeiten, wenn man das Hormon in Form eines Nasensprays verabreicht. Denn über das Geruchsorgan gelangt der Botenstoff direkt ins Gehirn, ohne die Blut-Hirn-Schranke passieren zu müssen. Ziel der Massnahme istes – wie auch bei der Diabetestherapie –, den Mangel an funktionstüchtigen Insulinrezeptoren mit einem Überangebot des Botenstoffs auszugleichen. Laut den Ergebnissen erster Pilotversuche führt das Verfahren bei einigen Alzheimerkranken zu einer deutlichen Besserung des Erinnerungsvermögens. In Studien mit grösseren Teilnehmerzahlen wollen Forscher nun Nutzen und Risiken der Therapie konsequent prüfen.

Einen anderen Weg, um den Energiemangel im Gehirn von Alzheimerkranken zu lindern, gehen Werner Reutter und sein Team von der Charit ´e in Berlin. Wie der Biochemiker auf Anfrage sagt, basiert ihr Ansatz auf einem einfachen Prinzip: der Erkenntnis,dass die Gewebe ihren Energiebedarf auch mit einem anderen Zucker, und zwar mit Galactose, decken könnten. Reichlich vorhanden in Milch, gelange dieser Zucker zudem ohne Hilfe von Insulin ins Gewebe, wo er dann zu Glukose umgewandelt werde. Wichtig sei allerdings, ausreichende Mengen zu verabreichen. Denn Galactose könne nur über ein Konzentrationsgefälle in die Zellen dringen. Das heisst: Ausserhalb der Zellen muss der Zucker in deutlich höheren Konzentrationen vorliegen als innerhalb. Wie Reutter hinzufügt, ist die Galactose anders als der Milchzucker (Laktose) sehr gut verträglich. Die in Lebensmitteln enthaltenen Mengen reichten jedoch nicht aus,um in der Zelle eine Wirkung zu entfalten.

Hierzu müsse man täglich etwa 10 Gramm, das entspreche drei gehäuften Teelöffeln, zu sich nehmen. Ob und falls ja, welche Alzheimerkranken von einer erhöhten Galactose-Zufuhr profitieren, ist derzeit noch ungewiss. Laut Reutter hat diese in Einzelfällen aussichtsreiche Ergebnisse geliefert. Systematische Studien stehen bis anhin allerdings noch aus.

1 – Alzheimer’s Association, 22. Juli 2015.
2 – Alzheimer’s & Dementia 11 (2015) 504–510.